Saisonale Weidemyopathie

Update 23.11.2018:
(Ergänzung des Meldesystems und der schnellen Erkennunghilfe)


Vor allem im Herbst ist das Risiko für die saisonale Weidemyopathie groß. Nachdem lange niemand so recht wusste, was die meist tödlichen Symptome auslöst, wurde in den letzten Jahren durch mehrere Studien gezeigt, dass Samen und (im Frühjahr auch Keimlinge) des Bergahorns eine entscheidende Rolle spielt. Nach wie vor sind die genauen Zusammenhänge nicht restlos aufgeklärt, es dürften neben der HGA Aufnahme noch weitere Faktoren eine Rolle spielen. spielen. Aktuell werden Studien über die intestinale Metabolisierung zur Entwicklung von Therapien durchgeführt.
Ich habe versucht, die aktuelle Faktenlage aus mir zugänglichen Studien zusammenzufassen. 

Faktenlage

Die Atypische Myopathie (auch saisonale Weidemyopathie genannt) tritt in der Regel bei sehr jungen oder alten Pferden mit normaler bis verminderter Körperkondition auf, die auf der Weide gehalten werden, saisonal im Herbst oder darauffolgend im Frühling auf. Konkret sind laut bisherigen Studien vor allem Pferde, die jünger als drei Jahre und älter als vier Monate sind, nicht sportlich genutzt werden, nicht zusätzlich gefüttert werden, kein zusätzliches Leitungswasserangebot auf der Weide haben, nicht übergewichtig sind und auf einem feuchten Gebiet weiden, einem höheren Risikopotential ausgesetzt im Herbst oder Frühling an atypischer Myopathie zu erkranken, vor allem wenn bereits Fälle der AM auf der entsprechenden Weide aufgetreten sind.
Das gehäufte Auftreten von Weidemyopathie bei Pferden unter 3 Jahren könnte auf eine erhöhte Toxin Exposition oder die spätere Entwicklung einer Immunität zurückzuführen sein. Da ein Fall beschrieben wurde, in dem ein Pferd überlebt hat, der Erkrankung aber im darauffolgenden Jahr zum Opfer gefallen ist, erscheint eine erworbene Resistenz unwahrscheinlich. Es gibt keine Rasse- oder Geschlechtsprädisposition.

bergahron
Schnelle Erkennungshilfe für Bergahorn, 
Quelle: www.pferdeliebe-magazin.de

Bei an atypischer Mypopathie bzw. saisonaler Weidemyopathie erkrankten Pferden wurde die nicht- proteinogene Aminosäure Hypoglycin A (HGA) im Blut und im Urin nachgewiesen. Angrenzend an betroffene Weiden, auf denen die atypische Myopathie aufgetreten ist, wurde HGA in den Samen und Keimlingen des Bergahorns nachgewiesen. Bestandteile der Samen des Bergahorns wurden außerdem im Gastrointestinaltrakt erkrankter Pferden botanisch bestimmt. Daher bestehen deutliche Hinweise für einen Zusammenhang zwischen der atypischen Myopathie under Aufnahme von Samen und/oder Keimlingen des Bergahorns. Allerdings ist noch nicht gesichert, ob nicht auch andere Baumarten HGA enthalten.

Dass auch in gesunden Weidepartnern erkrankter Pferde HGA im Serum und Urin nachgewiesen wurde, weist auf eine dosisabhängige Entwicklung der Symptome einer klinischen atypischen Myopathie hin. Ungeklärt ist bisher, warum der Gehalt HGA-Konzentration in den Pflanzenteilen des Bergahorns schwankt und ob und warum ein saisonaler Zusammenhang vorhanden ist. Gesichert scheint hingegen die Erkenntnis, dass insgesamt die Sprösslinge den höchsten Gehalt aufweisen, gefolgt von Samen und Blättern. 
Des Weiteren bleibt die Frage offen, warum manche Pferde zwar in hohen Konzentrationen HGA nachweislich in den Körperflüssigkeiten aufweisen, aber nicht erkranken. Es ist unklar, ob die Aufnahme und inwieweit die Bioverfügbarkeit des HGA durch bestimmte Faktoren beeinflusst werden kann, und ob phäno- oder genotypische Unterschiede in der Metabolisierung von HGA vorhanden sind, die eine individuelle Sensitivität erklären könnten. 
Die Ausbrüche folgen oft auf einen ungewöhnlich heißen und trockenen Sommer und treten zumeist ein bis zwei Tage nach frostigen Nächten mit deutlichen Temperaturstürzen bei eher milden Tagestemperaturen auf. Hohe Luftfeuchtigkeit, Wind und fehlende Sonneneinstrahlung scheinen das Auftreten der Erkrankung ebenfalls zu begünstigen. 

Laut bisherigen Berichten sind die häufigsten Symptome Schwäche, Festliegen, Pigmenturie, muskuläre Steifheit, Depression, Muskelzittern und eine stark gefüllte Harnblase und treten in über 70% der Fälle auf. Die meisten Pferde zeigen die Symptome bereits auf der Weide, diese können aber in manchen Fällen auch erst 24 h nach Aufstallung auftreten. In den meisten Fällen von atypischer Weidemyopathie waren die Pferde bereits mehr als 7 Tage auf der entsprechenden Weide. Im Normalfall sind mehrere Pferde einer Weide betroffen.
Zur Entwicklung kausaler Therapien befassen sich aktuelle Studien mit der intestinalen Metabolisierung von HGA und dem Einsatz eines Adsorptionsmittels wie z. B. der Aktivkohle. Der Einsatz von Aktivkohle könnte als rasche präventive Behandlung der Weidepartner der erkrankten Pferde helfen, die potentiell dosisabhängige Entwicklung klinischer Symptome zu verhindern. Der therapeutische Einsatz von Aktivkohle wurde bisher allerdings noch nicht in vivo überprüft, gilt daher bisher nur als evidenzbasiert.

Aufgrund des aktuellen Wissenstandes können zum aktuellen Zeitpunkt nur präventive Maßnahmen zur Vermeidung der atypischen Myopathie empfohlen werden. Die empfohlenen Maßnahmen betreffen die Entfernung von Sprösslingen, Blättern und Samen des Bergahorns auf Weiden, Zusätzliches Anbieten von Futter sowie die Pferde nur limitiert weiden zu lassen. Weiden, auf denen bereits Fälle von atypischer Myopathie aufgetreten sind, sollten in weiterer Folge nicht mehr im Frühjahr und Herbst zur Beweidung verwendet werden.
Die VetMed Uni Wien empfiehlt, den Zugang von Pferden zu Weiden mit Bergahornbäumen wo möglich zu vermeiden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass starker Wind die Samen auf ein sehr weitläufiges Gebiet verteilen kann. Laut VetMed reicht die Fütterung von (zusätzlichem) Heu, um zu verhindern, dass die Pferde die Samen zu sich nehmen aus. In einem älteren Dokument wird empfohlen, Pferde nicht länger als 6 Stunden auf die Weide zu lassen. Man bezieht sich dabei auf Studien, die zum Ergebnis kamen, dass vor allem Pferde betroffen sind, die zwischen 6 und 24 Stunden auf der Weide sind.

Mein persönliches Fazit

Sofern kein Verdacht auf das Vorhandensein von Bergahorn in entsprechender Nähe (Winderversatz bedenken!) besteht, sollte man auch zur Vermeidung anderer im Herbst häufiger Stoffwechselprobleme auf entsprechendes Weidemanagement achten. 
Die Zufütterung von Heu während der Weidezeit und das Anbieten von Knabberholz, sowie das Zufüttern von Kraftfutter nach Bedarf und die Versorgung mit Mineralfutter ist eine generell sinnvolle Empfehlung. Wie auch eine gute Wasserversorgung.
Ausreichend Bewegung scheint auch im Zusammenhang mit atypischer Weidemyopathie eine Rolle zu spielen, wobei dies natürlich generell eine positive Auswirkung auf Immunsystem und Stoffwechsel hat. Entsprechendes Training sollte grundsätzlich ein wichtier Punkt in der Pferdehaltung sein, der ganz besonders in den risikoreicheren Jahreszeiten an Wichtigkeit zunimmt.

Weitere Details zu Diagnose, Krankheitsverlauf und Therapie können Interesse in den angeführten Originalquellen nachgelesen werden. Im Verdachtsfall ist ohnehin unvermittelt ein Tierarzt zu Rate zu ziehen.

Meldesystem 

Nachdem die atypische Myopathie keine meldepflichtige Krankheit ist, basieren alle Informationen über die Häufigkeit der Vorfälle rein auf freiwilliger Basis.  
Für betroffene Pferdebesitzer bzw. deren Tierärzte gibt es das freiwillige Meldesystem AMAG. 
Mit der Meldung der Fälle könnte eine europaweite, länderspezifische Erhebung unterstützt werden. Hier die Links dazu:

Link für PferdebesitzerInnen: http://labos.ulg.ac.be/myopathie-atypique/en/declare-case-owners/
Link für TierärztInnen: http://labos.ulg.ac.be/myopathie-atypique/en/veterinarians/declare-case-veterinarian/

Quellen

Untersuchungen zur intestinalen Resorption von Hypoglycin A im Hinblick auf die Atypische Myopathie des Pferdes 
Tanja Krägeloh, Tierärztliche Hochschule Hannover, 2017, Dissertation

Die Atypische Myopathie des Pferdes – spielt enterale Metabolisierung des Hypoglycin A eine Rolle im Hinblick auf die toxische Wirkung?
Tanja Krägeloh, et al., Der praktische Tierarzt, 98, Heft 12/2017, 1262 – 1270

Atypische Weidemyopathie (MyoglobinuriederWeidepferde)
Dr. Sonja Berger, VetMed Uni Wien, September 2016

Aktuelle Informationen zur saisonalen Weidemyopathie bei Pferden 
pdf, Vetmed Uni Wien, Stand 11/2013 

Hilfreiche Seite zur Identifikation von Bergahorn