Chronischer Stress beim Pferd

Überfordert, ausgepowert, pacoursauer – Burnout bei Pferden – so lautet der Titel eines aktuellen Artikels in der Pferderevue.

Warum sind auch die Besitzer vieler Freizeitpferde mit denselben oft diffusen Krankheitsbildern konfrontiert, wie sie im Artikel für ausgepowerte, dauergestresste „Leistungsträger“ (unter dem Motto: „nur wer brennt, kann auch ausbrennen“) genannt werden? Man könnte auch fragen, warum neigen nicht nur gestresste Manager, sondern auch Arbeitslose zu ähnlichen Symptomen, dann meist als Depression und nicht als Burnout eingestuft?
Dazu sollte man sich zuerst etwas mit den zugrunde liegenden Mechanismen auseinandersetzen.

Auswirkung von Stress

Es gibt eine ganze Reihe von Erkrankungen und gesundheitlichen Störungen, die durch Dauerstress bis hin zur Erschöpfungsphase (= „Burnout“) begünstigt oder sogar ausgelöst werden. Dazu zählen Magengeschwüre, Durchfall, Kotwasser, Kolik, Atemwegserkrankungen, Erkrankungen des Stoffwechsels, Schädigungen des Immunsystems, Allergien und Knochenverkalkungen. Dauerstress entsteht für das Pferd, wenn es ohne Unterlass oder häufig wiederkehrend immer denselben oder verschiedenen Stressfaktoren ausgesetzt wird. Diese können immerwährender Natur sein wie grundlegende Haltungs- oder Fütterungsfehler oder die dauerhafte Negierung elementarer Bedürfnisse wie das Bedürfnis, sich zu wälzen oder Sozialkontakte zu leben

Auch sich ständig wiederholende Stressoren wie unklare und widersprüchliche Hilfengebung beim Reiten, zu frühe und zu harte Ausbildung, zu häufiges Training, inkonsequenter Umgang oder ein zu intensiver Turnierbesuch mit häufigem Verladen und Transport führen zu einer ständig erneuten oder gar dauerhaften Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol. Das hat Folgen für den Stoffwechsel: Der Zuckergehalt im Blut steigt an. Für das Pferd lebenswichtige Fettdepots im Unterhautbindegewebe werden abgebaut, mit der Gefahr der Abmagerung und eines überhöhten Blutfettspiegels. In den Muskeln und Organen befindliches Eiweiß wird als Energiereserve genutzt, es kommt vermehrt zu Muskelverspannungen, Muskelabbau, Organ- und Wachstumsstörungen.

Aktuer Stress

Stress wirkt als physiologische Aktivierung, die zum Ziel hat, den Körper auf Gefahren vorzubereiten und so die Überlebenschance („fight or flight“) zu erhöhen. Die Aktivierung erfolgt über das vegetative Nervensystem (Sympathikus) und über Botenstoffe (Katecholamine wie z.B. Adrenalin und Dopamin) und läuft in verschiedenen Stufen ab. 

Bei aktuem Stress wird der Sympathikus aktiviert, Herzschlag, Blutminutenvolumen, Atemfrequenz, Schweißsekretion werden gesteigert. Der Sympathikus stimuliert das Nebennierenmark zur Abgabe von Adrenalin und Noradrenalin. Verdauung, Sexualität, Immunsystem werden gehemmt, die Blutgerinnung erhöht.
Von der Hirnanhandrüse (Hypophyse) wird ACTH (adrenocorticotropes Hormon) ins Blut abgegeben, das die Nebennierenrinde zur Cortisolproduktion anregt um Energie in Form von Zucker und Fett zur Verfügung zu stellen (Cortisol erhöht den Blutzuckerspiegel und wirkt entzündungshemmend). Es stellt sich eine Denkhemmung ein („Tunnelblick“).

Chronischer Stress

Nach der Stressaktivierung stellt der Parasympathikus, der antagonistisch zum Sympathikus wirkt, wieder ein Gleichgewicht im Körper her, die Funktionen normalisieren sich. Nicht so aber bei chronischem Stress.

Wälzen dient dem Stressabbau und erhöht das Wohlbefinden …
… Sozialkontakte ebenso

Psychische Prozesse beinflussen über das limbische System und die Retikulärformation (Formatio reticularis – ein ausgedehntes diffuses Neuronennetzwerk im Hirnstamm) die quer gestreifte Muskulatur (Skelettmuskulatur). Ebenso beeinflussen diese über das vegetative Hormonsystem die Organfuntkion und die glatte Muskulatur (Herzschlag, Blutdruck, Darmtätigkeit). Chronischer Stress wirkt sich somit auch auf die Muskulatur aus; die Muskeln werden über den normalen Tonus hinaus angespannt. Diese Reaktion dürfte ein Überbleibsel der Evolution, eine Schutzfunktion sein. Durch den ständig erhöhten Muskeltonus verbraucht man aber auch mehr Energie. Die Dauerfolge sind eine verminerte Leistungsfähigkeit und Muskelverspannungen.

Cortisol wird vorwiegend in der zweiten Nachthälfte produziert und steht morgens zwischen 7 und 8.00 Uhr für die Stressbewältigung bereit, Im Lauf des Tages fällt Cortisol stark ab, wobei vormittags der Hauptabfall stattfindet und Abends nur noch ca. 10% des Morgenwertes vorhanden sind. 

Chronischer Stress geht primär mit Steigerung der nächtlichen Nebennierenrindenaktivität und infolgedessen meist mit hohem morgendlichem Cortisol einher. Der Tagesrhythmus der Cortisolausschüttung verändert sich unwesentlich. 

Es gibt mittlerweile auch Studien, die einen derartigen Tagesverlauf des Cortisolspiegels bei Pferden belegen. 

Die Effekte des Hormons Cortisol werden vor allem über den sogenannten Glukokortikoid-Rezeptor vermittelt. Kortison, das mit dem Kortisol eng verwandt ist, wird gegen Krankheiten wie Allergien, Asthma oder Rheuma eingesetzt. Darüber hinaus kann das Hormon offensichtlich auch die Psyche beeinflussen. 

Erlernte Hilflosigkeit

Privatdozent Dr. Peter Gass und seine Mitarbeiter vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim untersuchten genetisch veränderte Mäuse. Diese Tiere verfügen nur über halb so viele Glukokortikoid- Rezeptoren wie normale Mäuse. In verschiedenen Experimenten zeigte sich, dass diese Tiere zu „erlernter Hilflosigkeit“ neigen, einem für Depressionen typischen Verhaltensmuster. 

Normale und genetisch veränderte Mäuse wurden in einer sogenannten Skinner Box zunächst zwei Tage lang leichten, unvorhersehbaren Stromstößen ausgesetzt, denen sie nicht entkommen konnten. Am dritten Tag änderte sich die Versuchsanordnung. Jetzt leuchtete wenige Sekunden vor jedem Stromstoß eine rote Lampe auf. Die Tiere hatten dann die Möglichkeit, in einen anderen Teil der Versuchskammer zu laufen und so dem Stromschlag zu entgehen. Im Vergleich zu normalen Mäusen brachten sich die genetisch veränderten Mäuse wesentlich seltener rechtzeitig in Sicherheit. Sie nahmen die Stromstöße oft einfach hin. Offensichtlich hatten die Tiere nach der schlechten Erfahrung der ersten beiden Tage, an denen die Stromstöße unabwendbar waren, resigniert: Sie hatten Hilflosigkeit erlernt. 

Diese erlernte Hilflosigkeit wurde bereits in früheren Versuchen mit Mäusen gezeigt. Mäuse, die über einen längeren Zeitraum in der oben beschriebenen Versuchsanordnung den Stroßstößen ausgesetzt waren, brauchten sehr lange um den danach angebotenen Ausweg auch zu nutzen. Mäuse, denen man den Ausweg gleich anbot, erlernten diesen Zusammenhang deutlich schneller. 

Auch bei Pferden wird das Thema „erlernte Hilflosigkeit“ mittlerweile oft diskutiert. Durch unnatürliche Haltungsbedingungen und Trainingsmethoden (nicht nur Rollkur, auch wenn diese oft in diesem Zusammenhang genannt wird) erlernen viele Pferde, dass Flüchten keine Option ist und resignieren. 

Stressfaktoren

Wie im Artikel der Pferderevue wird Stress bei Pferden oft mit Turnier, Transport und Leistungdruck in Zusammenhang gebracht, allerdings ist Stress oft sehr viel weniger offensichtlich. Viele Pferde werden nach wie vor in Boxen gehalten und können ihr natürliches Verhalten nicht ausleben. Stress in Form von ungeliebten Boxennachbarn, Lärm oder zu langen Futterkarenzen kann nicht abgebaut werden. Kommen Boxenpferde auf die Koppel, müssen sie sich jeden Tag aufs Neue mit den Weidekumpels auseinandersetzen, eine stabile Herdenkonstellation kommt hier nicht zustande. 

Aber auch bei Offenstallpferden, denen man versucht ein möglichst pferdegerechtes Dasein zu ermöglichen, gibt es oft Stress durch ungünstige Herdenzusammenstellung, zu wenig Platz bzw. Struktur, zu wenige Fressplätze oder auch hier zu lange Fresspausen. In einigen Ställen werden Boxenpferde tagsüber zu den Offenstallpferden gestellt, was auch dann wieder zu vermehrter Unruhe führt. Oder es herrscht reges Kommen und Gehen, die Herde kommt kaum zur Ruhe, wenn ständig neue Pferde eingegliedert werden. Man geht davon aus, dass es in etwa ein halbes Jahr dauert bis bei passender Zusammenstellung eine stabile Herdenkonstellation entsteht. Oftmals kehrt nie wirklich Ruhe in eine Herde ein, wenn entsprechende Führungspersönlichkeiten fehlen. Meist übernimmt dann ein Pferd ohne entsprechende Qualitäten diese Rolle und setzt sich damit quasi selbst unter Stress.

Und auch ganz ohne Turnierstress und Leistungsdruck kann falsches Training zu Stress führen. Oftmals werden auch Freizeitpferde viel zu früh und zu schnell ausgebildet, es wird sich an den großen Vorbildern orientiert und selbst Trainingsmethoden wie Rollkur haben Einzug in die Freizeitställe gefunden. Andererseits kann auch falsche oder widersprüchliche Hilfengebung zu Stress führen, da das Pferd dann nicht so recht weiß, was eigentlich gefragt ist. Je nach Naturell schaltet es dann ab oder spult das eingelernte Programm ab. Diesen Effekt kann man auch bei falsch durchgeführten positiven Trainingsmethoden wie Klickertraining provozieren. 

Neue Herdenmitglieder sorgen für Unruhe und Stress.
Selbst eine neue Futterraufe kann bei manchen Pferden zu Unsicherheit führen.

„Psychogenes Cushing Syndrom“

Das Arnold Hilgers Institut schreibt im Zusammenhang mit chronischem Stress: „Eine entsprechende Konstellation (Anm.: unwesentliche Änderung des Tagesrhythmus der Cortisolausschüttung) kann auch beim sogenannten „Sickness-Syndrom“ vorkommen. Im schweren Fall bei zunehmend aufgehobener Tagesrhythmik kann von einem „psychogenen Cushing Syndrom“ gesprochen werden, das durch einen unauffälligen Dexamethason-Hemmtest vom echten Cushingsyndrom differenziert werden kann. Sehr hohe Werte ohne Abfall im Tagesverlauf weisen dagegen auf ein organisches Cushing-Syndrom hin (erhöhte Corlisolkonzentration im 24h-Urin, auffälliger Dexamethasontest).“

Es gibt mittlerweile bereits verschiedene Meinungen, dass es bei Pferden auch das sogenannte Pseudocushing gibt (siehe auch Interview mit Frau Dr. Wanas auf propferd.at vom 26.05.2016), es wird in diesem Fall meist ein Zusammenhang mit Fütterungs- aber auch Haltungsfehlern vermutet. Der Zustand verbessert sich meist durch entsprechende Optimierungen und stoffwechselunterstützende Maßnahmen. 

In Bezug auf den oben genannten Zusammenhang sollte daber aber vielleicht noch mehr auf Stress als Ursache eingegangen werden und auch der Zusammenhag der Cortisolausschüttung mit dem Blutzuckerspiegel sollte hier vermehrt Beachtung finden. Denn über diesen Mechanismus hat auch Stress einen großen Einfluss auf Erkrankungen wie Hufrehe. So kann die gut gemeinte Radikaldiät unter Umständen erst recht den nächsten Schub begünstigen.

Entspannungstechniken

Der Trend im Umgang mit den vielfältigen, oftmals bereits als Zivilistaionskrankheiten bezeichneten Beschwerden unserer Pferde geht im Moment sehr stark in Richtung Fütterungsoptimierung und stoffwechselunterstützende Maßnahmen, die ich ohne Zweifel für wichtig halte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob für eine ursächliche Betrachtung ein verstärkter Fokus auf das Thema Stress, Haltungs- und Trainingsoptimierung und auch die Anwendung von Entspannungsmethoden gelegt werden sollte. 

Und nicht zuletzt sollte man sich als Pferdebesitzer wohl auch fragen, wie viel Stress verursache ich selbst meinem Pferd, denn nicht umsonst wird die ausgezeichnete Fähigkeit der Pferde auf ihre Umgebung unmittelbar zu reagieren (Das Pferd als Spiegel) mittlerweile sehr oft in der therapeutischen Arbeit mit Menschen eingesetzt. 

In manchen Fällen tritt nach Optimierung der Haltungsbedingungen keine oder nur sehr langsam eine Verbesserung des Zustands ein. Je länger die Bedingungen die Ausbildung von Verhaltensmustern in Richtung der oben angeführten erlernten Hilflosigkeit vorherrschten und je eher ein Pferd aufgrund seiner genetischen Disposition zu dererlei Verhaltensmustern neigt, desto länger dauert der Prozess und desto mehr zusätzliche Unterstützung ist notwendig. 

Meine Arbeit setzt aus den oben genannten Gründen sowohl bei der Entspannung, als auch Optimierung von Haltung und Fütterung an, sowie bei der gleichzeitigen Arbeit mit Pferd und Reiter. 

Wenn die äußeren Umstände passen, …
… dann können sich Pferde so richtig entspannen

Quellen:
Arnold Hilgers Institute – Neuroendokrine Stressachse
Newsletter „Nationales Genomforschungsnetz“, April 2005, Hrgb.: Bundesministerium für Bildung und Forschung)
Priv.Doz. Dr.med. W.P. Bieger, Dr. rer. nat., NeuroStress: Pathophysiologie und Diagnostik 
Skriptum Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (die neuen akademien) 
C.H.G. Irvine, S.L. Alexande, Factors affecting the circadian rhythm in plasma cortisol concentrations in the horse, Domestic Animal Endocrinology Volume 11, Issue 2, April 1994, Pages 227-238
P.L. Toutain, et al, Diurnal and episodic variations of plasma hydrocortisone concentrations in horses, Domestic Animal Endocrinology Volume 5, Issue 1, January 1988, Pages 55-59

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